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Wachsen, blühen und vergehen
Geschnittene Blumen bleiben lebendig, wenn sieim Wasser stehen. Sie
wachsen weiter, knospen auf und blühen. Sie verblühen mit all den
Anmutungen des Vergehens. Tulpen, Tulpensträuße bringen dies
faszinierend zum Vorschein, reizen zur malerischen Umsetzung.
(bitte für eine größere Ansicht anklicken)
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Sie stehen so unschuldig
so erwartungsvoll
dicht beieinander mit ihren Blättern
und den Blumenstengeln
die Knospen noch geschlossen
am nächsten Tag
nach einigen Nächten
zeigt sich die aufstrebende Lust
zum Blühen
hier im Krug
weit draußen auf den Tulpenfeldern
auf dem gemalten Bild
das Bild hält fest
zeigt für immer
wie es in dieser Stunde
dieser Morgendstunde war
im Krug blühen sie weiter
ungemein rege
ein aufzwitscherndes Vogelnest
wie sich die Stengel strecken
sie suchen das Licht
das Licht des Tages
das der überstarken Sonne
das aufsteigende Wasser
der osmotische Druck
treibt das mitabgeschnittene
Gesetz des Wachsens und Blühens
als stünden sie noch
mit ihren Zwiebeln
und Wurzeltrieben
in der Erde
sie hatten alles schon in sich aufgenommen
nun das Jubeln
ein wildes Sich-Öffnen
hochgewachsen
fast schon herabhängend
die Blütenblätter
die Farben
ungemein kräftig geworden
werden blasser und härter
die Tulpen überlassen sich
dem langsamen Fallgesetz
lassen mit sich geschehen
willenlos
wenn sich das Lebensgesetz entzieht
ein magisches
abgestorbenes
labyrinthisches Knäuel
das den Krug überlagert
umrankt
schwarz den Hintergrund
hell die Fläche
die trägt
Proserpina
klagt in diesem Strauß
noch lange
bis die Worte sich entziehen
und der Beobachter
der mitmalende
schweigt
Wilhelm Gössmann
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